Johannes-Passion, BWV 245

Karfreitag, 18. April 2025, 17.30 Uhr, Stadtkirche St. Johann, Rapperswil

Mehr als 300 Jahre ist es her: Im Karfreitagsgottesdienst am 7. April 1724 erklang die «Johannespassion»
von Johann Sebastian Bach zum ersten Mal – in der Nikolaikirche von Leipzig.

Johann Sebastian Bach schuf mit der «Johannes-Passion» ein musikalisches Ritual für die gläubige Gemeinde seiner Zeit. Die Berichte von Leiden, Sterben und Auferstehung gehören zu den Fundamenten der europäischen Kultur. Doch was bedeutet die Passion für eine diverse Gesellschaft, in der die christliche Religion zunehmend an Relevanz verliert? Werfen wir einen Blick ins «Hier und jetzt»: die Konkurrenz in Sachen sakraler Chorkomposition geht nahezu gegen Null. Ganz anders stellt sich die Situation für die christliche Religion da. Hier gibt es grosse Konkurrenten. Sozialversicherungen garantieren materielle Sicherheit, die höhere Bildung greift religiöse Dogmen an und Medizin und Psychotherapie versprechen Heilung – und doch – lediglich zwei Prozent der Schweizer Bevölkerung gibt an, überzeugt zu sein, dass Gott nicht existiere. Eine erstaunlich kleine Minderheit. Was also macht der moderne, in jeglicher Hinsicht abgesicherte Mensch, wenn ihm an Ostern inmitten von Schoggihasen, bunten Eiern und dem Brunch mit Familie und Freunden der religiöse Aspekt fehlt?

Unerreichte Bildhaftigkeit – atemlos
Höchst originell wie experimentierfreudig, lautmalerisch, expressiv, dicht, oft atemlos, all diese Charakterisierungen passen auf die «Johannespassion» – und sind doch nur unvollendete Annäherungen
an ein einzigartiges Werk, das unterschiedlichste Persönlichkeiten zu bemerkenswerten Äußerungen
bewegt hat. Der Komponist Hans Werner Henze schrieb 1983, es kämen in dieser Musik Dinge zur
Sprache, die bis dahin mit Tönen zu sagen niemand gewagt, niemand vermocht oder auch nur versucht
hatte.

Passionsaufführungen zur Karfreitagsvesper in Leipzig
Bach musste sich den Regeln der Leipziger Kirchen beugen: Dort gehörte die Passionsmusik noch fest zur Liturgie der Karfreitagsvesper und musste deshalb den vollständigen Evangelientext enthalten. Durch freie Dichtung und Choralstrophen durfte er ergänzt werden. Bachs Amtsvorgänger als Thomaskantor in
Leipzig, Johann Kuhnau, hatte diese musikalisch angereicherten Passionsaufführungen gerade eingeführt. Das muss Bach gefallen haben, denn er nutzte die erste Gelegenheit, die sich ihm bot, um daraus eine Tradition zu machen.

Modern, kraftvoll, spannungsgeladen
Bach hat den Bericht des Johannes an zwei bemerkenswerten Stellen ergänzt: Die Worte nach dem
Hahnenschrei, wo klar wird, dass Petrus Jesus verraten hat, und die Schilderung des Erdbebens sind dem
Matthäus-Evangelium entnommen. So erweitert Bach die knappe Schilderung bei Johannes und gibt ihr weitere musikalische Kraft. Der Erzählung des Evangelisten gegenübergestellt sind in Arien und Ariosi die
persönlichen Reaktionen des einzelnen Individuums auf das Geschehen. Die Choräle spiegeln die Gefühle der Gemeinde. Von ungeheurer Wirkung sind die Chöre der Juden, die Musik, die Bach schreibt, klingt nahezu modern, spannungsvoll, ein Sinnbild der wie entfesselten Menge.

Zu sehr dem Operngenre angenähert?
Lange Zeit stand die in vielen Passagen dramatische, leidenschaftliche «Johannespassion» im Schatten der viel umfangreicheren Matthäuspassion. Aber längst ist die zu Bachs Zeit als «zu sehr dem Operngenre angenähert» kritisierte «Johannespassion» aus diesem Schatten herausgetreten. Peter Sellars betonte die Gegenwärtigkeit der «Johannespassion» mit ihren vielen Heimlichtuereien und gleichzeitig der unverhohlenen Brutalität. Bach möchte den Zwiespalt von Menschen zeigen, deren Herz weiß, was richtig ist, die aber unter gesellschaftlichem Druck stehen oder um ihren Ruf fürchten. Das ist kein Stück für Leute, die alles zu wissen meinen, sondern eines für Suchende, für Menschen, die immer wieder von vorne anfangen. Und Simon Rattle fügt hinzu: Wenn man diese Musik zum ersten Mal hört, ist man einfach nicht vorbereitet auf dieses wogende Klangmeer und diese Dissonanzen. Auch wenn Bach selbst nie an inszenierte Aufführungen seiner Passionen gedacht hat, betont doch auch der große Bach-Dirigent John Eliot Gardiner in seiner monumentalen Bach-Monographie die unerreichte Bildhaftigkeit schon des Orchestervorspiels mit seinen ins Mark gehenden Dissonanzen und den Spannungsbogen an musiktheatralischer Intensität. Interessant: Dieser geht für ihn weit über alles hinaus, was Opernpartituren der damaligen Zeit zu bieten hatten. 

Coro Canto – La Compagna

Der «Coro Canto» gilt als eines der besten Vokalensembles der Region oberer Zürichsee. Mit ihren energiegeladenen Interpretationen sorgen die Sängerinnen und Sänger bei Publikum und Fachpresse gleichermaßen für Begeisterung. Frank Mehlfeld gründete den Chor im Jahr 2021 mit dem Anspruch, der Öffentlichkeit höchste musikalische Qualität, Leidenschaft und ein tiefgehendes Musikverständnis anbieten zu können. Dabei sind die exzellenten Sängerinnen und Sänger nicht nur in den Chorreihen zu erleben, sondern treten auch solistisch hervor.

Die Programmgestaltung überzeugt durch Authentizität und Originalität; sie reicht von Werken des Barock bis in die Gegenwart. Der Chor will mit seinen Stärken das Publikum auf eine ganz unmittelbare Weise erreichen und berühren. Ein grosser Teil der Veranstaltungen wird vom «Coro Canto Management» für bestimmte Anlässe individuell konzipiert. Gemeinsam mit dem Instrumentalensemble «La Compagna» widmet sich der Chor der Pflege und dem Erhalt des kulturellen Erbes und seiner Verankerung im Bewusstsein der Öffentlichkeit. 


Renate Steinmann steht dem Ensemble als Konzertmeisterin vor und ein renommiertes, weit über die Grenzen von Rapperswil bekanntes Team professioneller Vokalsolisten haben es sich zur Aufgabe gemacht, dieses Werk am Karfreitag der geneigten Zuhörerschaft zu präsentieren. Konzertbesucher dürfen sich auf Sybille Diethelm (Sopran), Dalila Djenic (Alt), Florian Cramer (Evangelist), Zacharie Fogal (Tenor-Arien), Hubert Michael Saladin (Christusworte und Raimund Nolte (Bass-Arien) freuen. Alles unter der Leitung von Musikdirektor Frank Mehlfeld.